Am Freitagabend, 6. Juni 2020, wird der 23-jährige Bielefelder Soumaila Bandé von einem Mob der Bielefelder Polizei auf den Boden gedrückt, ihm wird ins Gesicht geschlagen – nur weil er nachfragte, warum seine Papiere kontrolliert würden. In einem Video von Café Exil können wir einen Eindruck vom Auftreten der Cops bekommen 1. Einer brüllt, bedroht Umstehende mit dem Schlagstock, während zwei Andere auf SB sitzen. Jede:r der oder die schon Cops bei einer Festnahme auf sich sitzen hatte, weiß, dass einem da die Luft wegbleibt.

Darum herum weitere 3-4 Cops die einen Ring bilden und die Gewalt nach außen abschirmen. Anwesende Freund:innen von SB und herbeigeeilte Bürger:innen werden von der Polizei angeschrien und mit Pfefferspray angegriffen. In der Folge zog mindestens ein Polizist seine Waffe.

Das alles ist keine zufällige Begebenheit, sondern systematische Folge der Politik und Strategie der Bielefelder Polizei. Wir wissen, dass der Kesselbrink seit langem als Gefahrengebiet eingestuft ist oder es lange war und dass es verdachtsunabhängige Kontrollen gibt; wir hören seit Jahren von Schwarzen Freundinnen und Freunden, dass die Cops diese Kontrollen nach rassistischen Kriterien durchführen und kennen weitere Geschichten von verdachtsunabhängiger Polizeigewalt.

All dass könnte auch ein Bielefelder Lokalreporter wissen. Jens Reichenbach ist seit 2007 in der Lokalredaktion u.a. für „Kriminalität […] Polizei“ verantwortlich und formuliert den Anspruch: „natürlich darf man dabei nie die Opferseite und die Hilfeorganisationen vergessen.“ Herr Reichenbach sollte es also wissen, denn er hat auch noch über die antirassistische Demonstration vom Wochenende berichtet, auf der SB selbst die Situation beschrieben hat und die explizit das ‚racial profiling‘ thematisierte.

Zwei Tage später leidet Hr. Reichenbach unter plötzlichem Gedächtnisverlust: In seinem Kommentar vom 9. Juni 2020 wirft er SB vor sich „verdächtig“ gemacht zu haben, indem er nach dem Grund der Kontrolle fragte. „[D]och wer sich selbst verdächtig macht, darf sich nicht beschweren.“ Sieht so die ‚Opferperspektive‘ aus, Jens? Hat neben dir schon einmal ein Streifenwagen gehalten, deinen Spaziergang beendet und deine Papiere sehen wollen? Meinst du dein Gang hat dich verdächtig gemacht oder dass du so spät Abend noch frische Luft schnappst? Nein, Jens, denn dir passiert das so nicht, wie es SB passiert ist.

Spar dir deine Krokodilstränen über die Art der Festnahme, dein Verständnis über die Wut der Leute, die sie beobachten mussten und dein Mitgefühl für die ‚Stigmatisierung‘. Wenn du meinst man ‚darf sich nicht beschweren‘, wenn die Polizei eine:n etwas fragt, dann unterstützt du damit rassistische Polizeigewalt.

Das Ganze ist mehr als nur eine persönliche Verfehlung von Jens Reichenbach: Als Grund der Kontrolle gibt er das „unangepasste“ und „laute Verhalten“ der Gruppe an. Welches Verhalten unangepasst und laut ist, definiert aber die Polizei selbst und schafft sich so nach ihren eigenen rassistischen Vorstellungen kriminelles Verhalten. Das ist ein althergebrachtes Schema, was von der Polizei benutzt wird um ihren Rassismus im nachhinein zu legitimieren und Personen die sich „unnormalen“ Verhaltens schuldig gemacht haben zu othern und zu dehumanisieren. „Unangepasst“ und „lautes Verhalten“ sind hier die Codewörter im Zusammenhang mit der rassistisch subjektivierenden Funktion der Polizei.

Aussagen der Polizeipräsidentin sind hier aufschlußreich 2. Auf die Frage, ob die übermäßige Gewaltanwendung gegenüber SB auch jeder anderen Person passiert sein könnte, antwortete sie: „Eindeutig ja. Wir wollen den Kesselbrink für alle Bürgerinnen und Bürger begehbar machen und wenn eine Gruppe sich auffälliger derartig benimmt, würden wir umgekehrt damit konfrontiert werden, warum tut ihr hier nichts und warum lasst ihr das geschehen? […] Wir haben sonst die Sorge, dass der Platz verloren gehen würde für ganz normale Bürger.“ Migrant:innen und Schwarze Personen sind wohl keine Bürger:innen? Hier wird die Linie zwischen ‚normal‘ und ‚abweichend‘ gezogen. Alles ‚Abweichende‘ wird als unnormal, störend und fremd markiert, was eine Abweichung ist, definiert aber die Polizei.

Die Rahmenbedingungen die, laut Polizeipräsidentin, zu der Kontrolle geführt hatten, waren u.a., dass „2 Personen in der Gruppe der Polizei bereits im Zusammenhang mit BTM [Betäubungsmittel] Delikten bekannt waren“, dass die Leute der Gruppe „sehr laut agierten“ und es „sehr viel Müll in ihrer unmittelbaren Umgebung zu sehen war“. Sie passten ihnen wohl nicht ins Bild des braven deutschen Bürgers. So legitimiert sich eine gewälttätige Kontrolle selbst.

Diese Logik der Polizei reicht von angeblichen ‚Drogendealern‘ auf dem Kesselbrink bis zu den Morden an Eric Garner und George Floyd in den USA. Denn zu dem ‚kriminellen Verhalten‘, dass dort erschaffen wird, gehört auch immer eine Strategie der Polizei als Antwort. Diese äußert sich üblicherweise in einer Demonstration von Stärke, Machismo und übermäßiger Gewalt. Eric Garner wurde ermordert, weil er angeblich gefälschte Zigaretten verkauft hat, George Floyd wurde ermordert, weil er angeblich einen gefälschten Dollar-Schein benutzt hat. Auf dem Bielefelder Kesselbrink zieht ein Polizist seine Waffe, nachdem SB nach dem Grund einer Kontrolle fragt und Jens fallen nur SBs angeblich kiffende Freunde ein.

Nein, es ist kein „falsches Signal“, wenn „polizeibekannte“ Leute unkontrolliert bleiben. Die Strategie des „Kontrolldrucks“ ist nichts anderes als die bewusste Entscheidung für ‚racial profiling‘. Das „Gewaltmonopol des Staates“ ist ein autoritärer deutscher Mythos, der Gewalt gegen alle Abweichungen von der ‚Leitkultur‘ rechtfertigt. „Both sides“ (Trump) – „das Verhalten beider Seiten“ (Reichenbach) ist keine neutrale journalistische Darstellung, sondern im Kontext dieser Polizei und Gesellschaft einfach Rassismus.

Und genau diesen müssen wir beenden, sowohl in den USA als auch in Bielefeld. Nicht nur die Polizei in Minneapolis muss aufgelöst werden. Wir dürfen nicht vergessen: Am gleichen Tag des Artikels in der NW, 15 Jahre zuvor, wurde Ismail Yaşar in Nürnberg vom NSU ermordet. Anstatt die Täter zu suchen, hat die Polizei seine Angehörigen kriminalisiert, weil sie in ihr Bild von „abweichendem Verhalten“ passten.

Es führt auch in Deutschland kein Weg an einer Abschaffung aller Polizeibehörden vorbei. Es braucht ein gänzlich anderes System sozialer Sicherheit.