Am 26.03.21 liefen leider coronaleugnende Autoritäre durch Bielefeld. Wir steuerten den folgenden Redebeitrag zur Gegenkundgebung bei. Es war uns wichtig, nicht bloß bei der ideologische Einordung stehenzubleiben (auch wenn diese nötig ist). Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir dem unerträglichen kurz-vor-Mob der Schwurbler:innen ganz praktisch die gesellschaftlichen Grundlagen entziehen können.

Klar ist: Die Mittel des Staates sind völlig unzureichend, und in den allermeisten Fällen nicht wünschenswert, ableistisch, sexistisch, rassistisch. Am Anfang der Pandemie entstanden spontane Hilfsnetzwerke in der Gesellschaft. Was ist aus ihnen geworden? Wie können wir selbstorganisierte Strukturen aufbauen, die effektive Maßnahmen gegen die SARS-CoV-2 Pandemie überhaupt erst möglich machen? Und vielleicht sogar eine (Care-)Revolution vorbereiten?

Wenn wir die aktuelle Durchseuchungsstrategie der Bundesregierung als solche benennen, können wir verstehen, dass die Hauptlast der Pandemie von (oft migrantisierten) Armen und Arbeiter:innen, durch Krankheitsfälle und ‘systemrelevante’ Lohnarbeit, sowie Krankenhäuser an der Belastungsgrenze getragen wird. Und vom globalen Süden, der krepieren darf, bis hier alle geimpft sind.

Deshalb sollten wir eine antiautoritäre Alternative unterstützen: #ZeroCovid. Eine Nullinzidenzstrategie von unten müsste eine Umkehrung der Prioritäten bedeuten. Es liegt an uns darüber zu sprechen, wie das aussehen muss, wie es zu machen ist.


Ihr findet unsere Rede als Audiofile hier


Wir sind heute hier, um gegen den „Lichterspaziergang“ der Coronaleugner zu demonstrieren. Wir möchten diesen Anlass nutzen, um uns noch einmal klar zu machen, was es damit auf sich hat, gegen wen und was wir da eigentlich auf die Straße gehen. Denn wir müssen gemeinsam herausfinden was wir dem entgegensetzen können und was gesamtgesellschaftlich geschehen muss, um so einem unsolidarischen Treiben den Boden zu entziehen.

In den Medien wird immer wieder betont, die „Bewegung“ der sogenannten „Querdenker“ sei heterogen. Angeblich kämen ihre Mitglieder aus dem „bürgerlichen“ Lager – was auch immer das genau ist – Rechte und Faschisten würden diese Leute und ihre Bewegung als Vehikel nutzen. Außerdem wird die Bewegung mit Schmähungen bedacht, wie Covidioten, Schwurbler oder einfach Verrückte. Das ist zwar verständlich, aber es verharmlost das Problem. Denn die Bewegung muss sich nicht instrumentalisieren lassen. Nach all den Monaten können wir mit Sicherheit sagen, dass die Coronaleugner selbst ein Problem sind und sich in den Ideen mit anderen organisierten rechten Gruppen treffen. Ihr Todeskult, ihre Verachtung für Solidarität und ihre Ignoranz sind offensichtlich.

Nun zu den Schmähungen: Diese projizieren das Problem auf die je Einzelnen und individualisieren es. Die gesellschaftlichen Umstände, die diese Bewusstseinsformen hervorbringen werden damit indirekt entschuldigt.

Wir möchten nun erst etwas zu dieser konkreten Bewegung sagen und dann etwas zu den gesellschaftlichen Umständen:

Die vorherrschende Erzählung bei den Leugner ist, das Coronavirus wäre nicht so gefährlich und die Politik würde es als Vorwand nutzen um den Staat autoritär umzubauen und die bürgerlichen Freiheiten abzubauen. Diese Erzählung wird dann unterschiedlich modifiziert. Mal ist Covid einem Labor entsprungen, mal gibt es überhaupt kein Virus, mal stecken die Wirtschaftseliten dahinter, dann die Freimaurer, oder einfach direkt die Juden. Unterschiedlich ist auch, was sie für das Ziel halten. Entweder geht es um Bereicherung, um Macht oder um einen Genozid an den Deutschen. Letzteres fügt sich hervorragend in die rechte Verschwörungstheorie vom „großen Austausch“, die nicht nur den Attentäter von Christchurch inspiriert hat.

In allen Fällen wird eine kleine Gruppe von Personen verdächtigt, die Pandemie bewusst zu steuern und für die eigenen egoistischen Zwecke zu nutzen – mehr oder weniger aus dem Verborgenen heraus. Weiter glauben alle Apologeten des Narrativ, dass ausgerechnet sie die Wahrheit erkannt hätten, dass sie aus der blinden Masse der Schlafschafe mit ihren Geheiminformationen von Youtube herausstechen würden und sich jetzt tatsächlich aktiv in einem Kampf gegen diese Verschwörung befinden würden. Hinzu kommt natürlich die messianische Aufgabe, möglichst vielen anderen Menschen die Augen zu öffnen.

Von außen betrachtet ist es einfach, diese Erzählung als Unsinn abzutun und es dabei zu belassen. Gehen wir aber gedanklich einen Schritt zurück. Schauen wir auf die Struktur der Erzählung. Denn das, was wir schon als Gemeinsamkeit genannt haben, also die Idee von Eliten, die sich angeblich auf Kosten der Massen bereichern und das Weltgeschehen lenken würden, ist wirklich nicht neu. Es ist die Grundlage jeder Verschwörungstheorie. Insofern ist schon die Differenzierung zwischen den Coronaleugnern und Verschwörungstheoretikern in Nazis, Reichsbürger und Bürgerliche usw. irreführend. Sie folgen alle demselben Narrativ.

Aber nicht nur das. Es ist auch wesentlich weniger harmlos, als es medial oft dargestellt wird. Das Prinzip der Verschwörungstheorie ist das Prinzip des Antisemitismus! Da wird den Juden eine ungeheure Macht zugeschrieben, sie sollen danach trachten die ganze Welt zu lenken, alles im eigenen und egoistischen Interesse natürlich und leidtragend sei dabei dann das sogenannte „Volk“ oder die vermeintlich „einfachen Leute“. Die Verschwörungstheoretiker folgen aber nicht nur alle dem antisemitischen Prinzip, sondern ihre Erzählung kann jederzeit offen in die antisemitischen Ressentiments umschlagen. Der Hass auf die Eliten oder auch Merkel und Drosten, kann schnell zum ungenierten Hass auf die Juden und dem Wunsch nach Vernichtung werden. Deswegen ist wirklich gar nichts an „Querdenkern“ harmlos. Wir sehen uns einer latent antisemitischen Masse gegenüber, bei der es nur eine Frage der Zeit oder der richtigen Reizreaktionen ist, bis sich die Latenz manifestiert und offen ausdrückt.

Dass das vielfach nicht so gesehen wird, hängt auch damit zusammen, dass ein Unverständnis von Antisemitismus, aber auch anderen autoritären und menschenverachtenden Charakterzügen und ihrer Entstehung vorherrscht. Wenn wir uns die gesellschaftlichen Prozesse derzeit anschauen, ist es leider nicht verwunderlich, dass Antisemitismus ein neues Hoch erfährt. Antisemitismus ist eine antimoderne Reaktion. Die gesellschaftliche Organisation im Kapitalismus ist immer abstrakter geworden, im Antisemitismus drückt sich der Hass auf Abstraktion und der Wunsch nach Konkretion aus. Durch antisemitische Erklärungsmuster wird die komplexe und abstrakte Realität auf ein einfaches und verständliches Maß heruntergebrochen, mit dem ganz leicht angebliche Schuldige – die Juden – und Lösungen – ihre Vernichtung – zu finden sind. Die Pandemie hat das gesellschaftliche Geschehen noch schwerer greifbar gemacht.

Wir alle leiden unter den Zuständen einer kapitalistischen und unfreien Gesellschaft, die einerseits zu Konkurrenz und Härte erziehen will, andererseits Erlösung davon in der Kleinfamilie, durch den neuesten Sportwagen oder andere Wunderwaren propagiert. Deswegen setzen wir dieser Normalität ja Solidarität und die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft entgegen. Die Leugner spüren diese Normalität sicherlich auch, aber sie wollen schon das leidvolle Leben vor Corona verdrängen und nicht verstehen. Und dazu gesellt sich jetzt eine unsichtbare Gefahr – das Virus. Die Maßnahmen zur Eindämmung sind allerdings sehr wohl sichtbar und erfahrbar. So mangelhaft sie auch sind, tangieren sie Menschen in ihrem Leben.

Neben den Rationalisierungsprozess des gesamten kapitalistischen Systems, was für viele ohnehin schwer genug ist, tritt also auch noch die Aufgabe, die abstrakt wirkende Gefahr der Pandemie und die realen Auswirkungen auf das eigene Leben rationalisieren zu müssen. Es verwundert nicht, dass Menschen daran scheitern. Das macht es nicht weniger fatal, entschuldbar oder weniger gefährlich, es ist aber wichtig um zu verstehen, mit wem wir es zu tun haben.

Wir wollen drei Punkte dazu nennen,was wir von diesen Leuten zu erwarten haben und wie ein Umgang damit aussehen kann.

  • Jeder die oder der auf so einer Demonstration mitläuft, folgt einem im Kern antisemitischen Narrativ, das aus der falschen Einrichtung der Welt entsteht. Unter Corona ist es nur auf die besondere Situation zugeschnitten worden.

Bei aller Differenzierung des „Querdenker“-Milieus, die auch von Linken betrieben wird, sollte übrigens nicht vergessen werden, dass auch unter vermeintlich progressiven Kräften Menschen dieser falschen Rationalisierung der Verhältnisse erliegen. In Bielefeld konkret erscheint beispielsweise diedie Zeitschrift „Kurzschluss“. Was darin geschrieben wurde, ist in weiten Teilen reaktionär, und trifft sich mit dem Denken gegen das wir heute demonstrieren in vielen Punkten.

  • Reden hilft nicht. Antisemitismus und jede seiner Ausformungen in Verschwörungstheorien ist eine sich selbst bestätigende Ideologie. Alles was dem an vernünftigen Argumenten oder gesellschaftlichen Realitäten entgegengebracht wird, kann von den Antisemiten problemlos in das eigene Denkmuster integriert werden.

  • „Querdenkern“ gilt es so entgegenzutreten wie allen anderen Nazis auch. Sie müssen bekämpft werden. Es kann kein miteinander oder nebeneinander geben. Sie stehen einer freien Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können, antagonistisch gegenüber. Ihnen muss der gesellschaftliche Nährboden entzogen werden.

Schließlich wollen wir darüber reden, wie wir das machen können. Den gesellschaftlichen Boden zu entziehen, klingt nach einer Mammutaufgabe – und das ist es auch. Möglicherweise geht die „Querdenker“ Bewegung in einem halben Jahr ein, die Leute sind aber – wenn auch nicht mehr im Mob organisiert – da. Und sie sind weiterhin Antisemiten und eine reale Gefahr.

Was es bräuchte, um dieser Gefahr zu begegnen, wäre eine gesellschaftliche Neuorganisation, in der die völlig irrationalen Prinzipien des Kapitalismus und des Staates, der neben Krieg, Armut und Hunger auch unaufhörlich Ideologien wie Antisemitismus produziert, aufgehoben werden. Eine Gesellschaft also, die sich Anhand der Bedürfnisse der Menschen organisiert, in der Menschen gestalterischen Einfluss auf ihre alltäglichen Lebensverhältnisse haben, in der Freiheit nicht die jämmerliche bürgerliche Freiheit meint, nach der alle möglichst gleich ausgebeutet werden sollen, sondern die Freiheit das eigene Leben, die Welt und die gesellschaftlichen Verhältnisse aktiv gestalten zu können.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir nicht für die falsch eingerichtete Gesellschaft eintreten, sondern für eine ganz andere Art zu leben. Als freie Individuen im freien und solidarischen Verbund mit anderen zum Wohle aller. Deshalb halten wir es für wichtig eine eigene Position zur Bekämpfung der Pandemie und der Gesellschaft, die diese hervorgebracht hat, zu entwickeln. Solange unsere Gesellschaft nicht ökologisch eingerichtet ist, kann es jeden Tag ein neues Corona geben. Wir müssen Strukturen aufbauen, die es ermöglichen sich in dieser Gesellschaft nicht mit Härte sondern mit Solidarität zu begegnen.

Erinnern wir uns an den Anfang der Pandemie. Nachbarschaftshilfe und solidarische Gruppen sind in der ganzen Republik entstanden. Warum sind sie so schnell vergessen worden oder vergangen? Was können wir besser machen? Der Aufruf von ZeroCovid hat uns Hoffnungen gemacht, weil er an diese Impulse der Selbstorganisation anknüpft. Machen wir uns darüber Gedanken, wie wir von unten und ohne Leugnung des Virus unser Leben in die Hand nehmen können. Streiks statt Ausgangssperren, Gegenseitige Hilfe statt Hoffnung in den Staat, ZeroCovid-Räte und Basisgruppen in allen Stadtteilen statt auf die Verwaltung und die Bundesregierung zu warten. Wir haben eine Welt zu gewinnen.